SFB/FK-427 Medien und kulturelle Kommunikation
Theorie des Verkehrs und der Logistik
Projektgruppe
Dr. Christoph Neubert, Dr. Gabriele Schabacher
Verkehr ist Gegenstand wissenschaftlicher Zugriffe ganz unterschiedlicher disziplinärer und methodischer Provenienz. Obwohl aus medien- bzw. kulturwissenschaftlicher Perspektive exemplarische Untersuchungen zu einzelnen historischen Kontexten oder Technologien vorliegen, ist eine systematische und übergreifende Betrachtung der Verkehrsthematik nach wie vor Desiderat. Ziel des Projektes ist deshalb die Erschließung des Komplexes 'Verkehr' für den kultur- und medienwissenschaftlichen Forschungszusammenhang.
Ausgehend von der klassischen Definition, die weder bei Verkehrsmittel noch Infrastruktur, sondern beim transportierten Gegenstand ansetzt, lässt sich die historische wie systematische Heterogenität des Begriffs auf folgenden Nenner bringen: Verkehr ist das Dispositiv der räumlichen Beförderung von Gütern, Personen und Nachrichten. Verkehr hat es also mit der gezielten Bewegung von Dingen, Körpern und Zeichen zu tun. Nun herrscht zwischen diesen Objekten, so die These, keine historische, kausale oder ontologische Priorität, wie die Über-schneidung von Verkehrs- und Nachrichtensystemen zeigt: So transportiert der Postwagen spätestens ab dem 16. Jahrhundert Personen wie Botschaften und ist zugleich Medium der Seelenhermeneutik wie der Distribution und Lokalisierung von Subjekten innerhalb eines Territoriums. Und die Verbreitung der Eisenbahn hängt von der Entwicklung des Telegraphen ebenso ab, wie der moderne Straßenverkehr ohne Ampelsignalsysteme undenkbar und die Kapazitätssteigerung von Streckennetzen weithin keine Frage baulicher Maßnahmen, sondern der Optimierung von 'intelligenten' Steuerungs- bzw. Verkehrsleitsystemen ist.
Bedeutet Transport die 'Vernichtung des Raumes', ist Logistik demgegenüber – im Anschluss etwa an Clausewitz – als die Beherrschung von Raum-Zeit-Konfigurationen zu verstehen: Die Dienstleistung der Logistik besteht in einer spezifischen Abstimmung aller beteiligten Para-meter, es handelt sich um eine nach Art, Menge, Raum und Zeit bedarfsgerechte Bereitstellung. Herausragendes Beispiel logistischer Innovationen der letzten zwanzig Jahre ist die Expansion der Express-Dienste. Hier geht es nicht in erster Linie um Geschwindigkeit, sondern um Zuverlässigkeit (Stichwort: 'Zeitgarantien'). Lag die Rationalität des Postsystems in der massenhaften Zustellbarkeit, scheinen heute ökonomisch erfolgreiche Lieferdienste die ge-genteilige Strategie zu verfolgen: Wie in unvordenklichen Zeiten erscheint der Postmann als Bote oder Kurier. Der Komplex der Logistik ist also für das Forschungsvorhaben insofern zentral, als die Probleme des Verkehrs hier in spezifischer Weise reflexiv werden.
Einerseits sollen daher historische Verkehrsdiskurse des 18. und 19. Jahrhunderts exemplarisch daraufhin analysiert werden, welches mediale Wissen sich in ihnen artikuliert. Andererseits ist dieses Wissen mit spät- und postmodernen Logistikdiskursen des 20. und 21. Jahrhunderts historisch zu kontrastieren und systematisch zu ergänzen.
Veranstaltungen
- Workshop "Raumtechniken" (Juli 2007)
- Workshop "Diskurse der Ökologie" (Februar 2008)
- Workshop "Verkehrsgeschichte und Kulturwissenschaft" (August 2008)
- Konferenz "Das Planetarische": Panel 4 "Weltverkehr" (Oktober 2008)
Lehrveranstaltung im WS 07/08
- Verkehr als Motiv der literarischen Moderne (Institut für Deutsche Sprache und Literatur, Köln)
Publikationen
- Verkehrgeschichte und Kulturwissenschaft, Bielefeld: transcript 2009 (hg. v. Christoph Neubert und Gabriele Schabacher). (in Vorbereitung)
- Christoph Neubert: Die Unwahrscheinlichkeit des Verkehrs. Zu Latours Aramis, or The Love of Technology, in: Verkehrgeschichte und Kulturwissenschaft, Bielefeld: transcript 2009. (in Vorbereitung)
- Lemmata "Verkehr" und "Logistik", in: Kulturwissenschaftliche Medientheorie. Ein Forschungshandbuch, hg. v. Ludwig Jäger, Marcus Krause und Erika Linz, 2009. (in Vorbereitung)
- Christoph Neubert: Onto-Logistik. Kommunikation und Steuerung im Internet der Dinge, in: Archiv für Mediengeschichte 8 (2008): Agenten und Agenturen, S. 119-133.
- Gabriele Schabacher: Raum-Zeit-Regime. Logistikgeschichte als Wissenszirkulation zwischen Medien, Verkehr und Ökonomie, in: Archiv für Mediengeschichte 8 (2008): Agenten und Agenturen, S. 135-148.
Zuletzt geändert am 09. Januar 2009 um 18:49 Uhr - Kontakt - Login zum Bearbeiten