Der gewöhnliche Faschismus - Relektüre historischer Bildarchive
Kompilationsfilm

Am Schneidetisch: Michail Romm und Walentina Kulagina

"Der gewöhnliche Faschismus" gehört zum Genre des Kompilationsfilms. Als "Film aus Filmen" (Jay Leyda) leistet dieses Genre eine Relektüre historischer Bildarchive. Dabei wird das aus unterschiedlichen Quellen stammende Material während der Arbeit am Schneidetisch in einen neuen Zusammenhang überführt, der für den Zuschauer im Idealfall einen "verfremdenden" Blick eröffnet:

"Jedes Mittel, durch das der Zuschauer veranlasst wird, vertraute Bilder so zu betrachten, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen, oder durch das die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf die tiefere Bedeutung alten Materials gelenkt wird, ist Ziel einer richtig verstandenen Kompilation."

Zitat aus: Jay Leyda: Films beget Films, London 1964, S. 45.

Dreharbeiten in Auschwitz

Bei dem Bildmaterial, aus dem Michail Romm auswählte, handelt es sich um zwei Millionen Meter Film (NS-Wochenschauen, Dokumentarfilme und Kulturfilme), die 1945 von der Roten Armee aus den Beständen des Reichsfilmarchivs konfisziert und nach Moskau transportiert worden waren. Dieses Material wird durch unterschiedlichste Fotografien ergänzt: etwa die Fotoporträts des Hitler-Leibfotografen Heinrich Hoffmann oder private Schnappschüsse von Soldaten der deutschen Wehrmacht, die Jahrzehnte später bei der ersten Wehrmachtsausstellung (1995) Aufsehen erregten. Hinzu kommen Film- und Fotomaterialen aus Archiven und Bibliotheken in der Sowjetunion, Polen und der DDR. Einen Gegenpol zu diesen historischen Materialien bilden eigene Filmaufnahmen aus dem Museum von Auschwitz und im Stil des cinéma vérité in Kindergärten, vor Universitätsinstituten und auf den Straßen europäischer Metropolen gedrehte Einstellungen. Diese Einstellungen von Kindern, jungen Leuten und zeitgenössischen Alltagsszenen stellen den Bezug zur eigenen Gegenwart her und verweisen auf den diskursiven Ort, von dem aus die Vergangenheit reflektiert werden soll.

Ein Projekt des Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs "Medien und kulturelle Kommunikation", Universität zu Köln
Konzept und Texte: Wolfgang Beilenhoff, Sabine Hänsgen. Onlineredaktion: Thomas Waitz
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