Kulturwissenschaftliches Forschungskolleg
"Medien und kulturelle Kommunikation"


Forschungsprogramm

Fragestellung

Die rasant verlaufende Medienevolution verändert den kulturellen Haushalt unserer Gesellschaft. Der Erfolg der elektronischen Speicher-, Massen- und Unterhaltungsmedien bestätigt Walter Benjamins These, daß sich mit neuen medialen Standards technischer Reproduktion zugleich die "Gesamtheit" der überkommenen Standards neu gruppiert und damit radikal verändert.

Davon sind die Geisteswissenschaften - und unter ihnen die Philologien - in besonderem Maße betroffen. Zum einen wandeln sich die sprachlichen und literarischen Kompetenzen, auf denen sie aufruhen und die sie produzieren. Der Stellenwert ihrer kanonischen Gegenstände und ihrer eigenen Verfahrensweisen ist ebenso wie ihre Leistung für die Gesellschaft neu zu klären. Zum anderen nehmen die betroffenen Disziplinen - bereits auf der Ebene ihrer basalen Arbeitstechniken - selber an den medialen Veränderungen teil.

Die starken Irritationen, die der anhaltende Veränderungsdruck erzeugt, sind zunächst in Form von Negativbilanzen aufgefangen worden: "Sprachverfall" - "Ende der Schriftkultur" - "Dissoziation der kulturellen Öffentlichkeit" - "Geltungsverlust der Literatur in der Medienkonkurrenz" zählen inzwischen zu den Topoi der Kulturkritik. Die Gegenwart erscheint als "Mediengesellschaft", deren entfesselte Dynamik als Gegenbild zu Wert-, Hierarchie- und Steuerungsvorstellungen erfahren wird, auf die sich die Geisteswissenschaften traditionell verlassen haben: Kanon, Autorität und ihre Institutionen.

Seit etwa einem Jahrzehnt reagiert man auch in Forschung und Wissenschaftspolitik verstärkt auf die neue mediale Situation. Die Positionen reichen von der begeisterten Antizipation neuer Techniken - die von den Euphorien der Werbung oft nicht zu unterscheiden ist - bis hin zu disziplinär begrenzten Einsätzen etwa der Filmwissenschaften, der psychologischen Medienwirkungsforschung oder der Publizistikwissenschaften. Doch mit einer Öffnung für Fragen der Medialität ist es nicht getan, da eine bloße Annäherung an das Thema nicht ausreichend zwischen einzelnen Zugriffen unterscheiden kann.

Allein dort, wo die geisteswissenschaftlichen Fächer ihr disziplinäres Wissen, ihre besonderen Lektüre-, historischen Beschreibungs- und Theoriekompetenzen einbringen, ist auf sinnvolle Weise an den zirkulierenden Mediendiskurs anzuschließen. Erst dann können auch medienkritische Argumente ausgearbeitet und in die gesellschaftliche Debatte eingebracht werden. Erst auf dieser Grundlage lassen sich strukturbildende Effekte beobachten, die auch für eine anstehende disziplinäre Neuorientierung der Philologien nutzbar sind.

Ein auf diesen Eckpfeiler gesetztes Forschungsprogramm hat seinen Einsatz in der aktuellen Diskussion über die Funktion der Geisteswissenschaften: Die alte Trias der maßgeblichen Leitbegriffe Bildung - Geist - Sprache wird zunehmend ersetzt durch ein auf die Kategorien kollektives Gedächtnis - Kultur - Medien zentriertes Begriffsfeld; Geisteswissenschaften verstehen sich zunehmend als "Medienkulturwissenschaften".1 Das öffnet den Blick für Phänomene jenseits der fraglos kanonisierten Gegenstände, doch auch hier ist es mit einer bloßen Ausweitung des Gegenstandsbereichs, die etwa nach dem Schema "Literatur und..." verfährt, nicht getan.

"Medien" sind für die Philologien und Geisteswissenschaften kein Thema unter anderen. Das belegen sowohl Arbeiten zum kollektiven Gedächtnis, die dem Programm einer "Archäologie der literarischen Kommunikation" folgen, als auch dekonstruktiv ausgerichtete Hermeneutiken, insofern es beide erlauben, Probleme medial vermittelter Tele-Kommunikation konzeptuell zu fassen und auf ihre gesellschaftsweite Durchschlagskraft zu befragen. Zu nennen sind zudem Ansätze einer historisch fundierten medientheoretischen Reflexion,2 die sich auf unterschiedlichen Forschungsfeldern finden: Forschungen zur "Materialität der Kommunikation" - mit wichtigen Ergebnissen etwa zur Schriftlichkeit/Mündlichkeit und zum Buchdruck - sowie film- und fernsehwissenschaftliche Arbeiten.3

Von einer elaborierten Medientheorie kann im Kontext der Geisteswissenschaften indes nur bei Friedrich Kittler gesprochen werden. Dieser technikhistorische Ansatz stellt die Textanalyse in den Kontext der Evolution medialer Hardware (Verbreitungsmedien). So anregend dieses Programm ist, so sind inzwischen doch auch seine Grenzen sichtbar. Insbesondere die für Kittler - und die ihm folgende Schule - verbindliche Nicht-Unterscheidung von Information und Kommunikation4 muß kritisiert werden, da die Textanalyse als Folge dieser Begriffsoption immer nur nachzuweisen hat, daß das determinierende Moment die "harte" Technik ist.

Gegen eine Hermeneutik des jeweils aufzulesenden "medialen Klartextes" wird im Forschungskolleg die Unterscheidung von Medien und Kommunikation als forschungsprogrammatische Leitdifferenz gesetzt. Dies ist eine Absage an einseitige Festlegungen, welche diese Differenz entweder als Tautologie oder als prinzipielle Asymmetrie fassen. Ziel ist weder eine Spezialisierung auf die "Technik" der Medien - in der Annahme, daß apparative Technikstrukturen auch alles weitere bestimmen -, noch wird akzeptiert, daß die geisteswissenschaftlichen Fächer allein für die "gepflegte Semantik" zuständig sind und im übrigen nur mit Prinzipienerklärungen auf technischen Wandel reagieren dürfen. Das Forschungskolleg fragt vielmehr nach dem gemeinsamen Terrain, auf dem beide Seiten sich begegnen, wo Diskurse und Dinge, technische Apparate und soziale Sinn-Kommunikation sich treffen.

Über die Arbeit an konkreten Fällen hinaus stellt eine so ausgelegte Forschung zugleich auch die generelle epistemologische Frage, wie die durch philologische Traditionen bestimmten Geisteswissenschaften Sachtechnik angemessen in ihre disziplinären Zugriffe integrieren können. Daß dies für die Stellung der Geisteswissenschaften eine unausweichliche Problemstellung ist, macht McLuhans polemische Formel: "The Medium is the Message" sinnfällig: Weder ist ihre Evidenz argumentativ eingelöst, noch ist es gelungen, das Diktum als leeren Slogan zu diskreditieren. Das Forschungsprogramm Medien und kulturelle Kommunikation ist so auch disziplinäre Selbstreflexion mit wissenschaftspolitischer Relevanz. Noch ist offen, wie künftige kulturwissenschaftliche Disziplinen aussehen werden, die die Schnittstelle von Medientheorie und Kommunikationstheorie, von Technik und Semantik zu ihrem bevorzugten Arbeitsfeld machen.

In einem solchen Forschungsprogramm sind aktuelle Probleme von Transdisziplinarität und Interdisziplinarität grundlegend verknüpft. Disziplinäre Kompetenz muß durch fächerübergreifende Kompetenz erweitert und ergänzt werden.5 Eine fortschreitende "'Intermedialisierung'" der Kommunikation und "'Internationalisierung' der kulturellen Symbolwelten" wird zudem Konsequenzen auch für die Disziplinen selbst haben.6 Der Internationalisierung der Medienforschung dient auch die Einrichtung von Gastprofessuren für ausländische Kolleginnen und Kollegen. Darüber hinaus finden regelmäßig internationale Symposien, Konferenzen, Workshops und Gastvorträge mit auswärtigen Forscherinnen und Forschern statt.


 
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Aktualisiert:  1999-10-20    Christoph Neubert