SFB/FK-427 Medien und kulturelle Kommunikation
The Parallax View - Zur Mediologie der Verschwörung
Konferenz des Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs "Medien und kulturelle Kommunikation" (SFB/FK 427)
18. und 19. Oktober 2007
Universität zu Köln, Albertus-Magnus-Platz
Hauptgebäude, Neuer Senatssaal
Verschwörungstheorien handeln von Doppelagenten, unsichtbaren Netzwerken und verdächtigen Objekten. Sie postulieren geheime Dimensionen des Politischen. Als „Verschwörungstheoretiker“ wird in der Regel der politische Gegner bezeichnet. In diesem Zusammenhang artikuliert der Begriff den Vorwurf, dass eine simplifizierende, meist manichäische Logik und ein pathologisches Denken an die Stelle eines rationalen Diskurses treten. Was aber, wenn man Verschwörungstheorien als Theorien und somit als Verfahren der Wissensgenerierung ernst nimmt? Sie weisen dann, so die These, nicht nur logische und häufig komplexitätssteigernde Züge auf, sondern auch aufschlussreiche Parallelen zu anderen Formen der Wissens- und Theoriebildung.
Die spezifische Leistung der Verschwörungstheorie kann dabei als „Parallaxe“ („parallax view“) begriffen werden. Obwohl ihre Formen der Beobachtung, Speicherung und Auswertung denen wissenschaftlicher Vorgehensweisen ähnelt, gewährleistet sie einen fremden Blick auf die Welt, eine Verschiebung der Perspektive, die neues Wissen generieren kann. In der Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorie wird überdies deutlich, dass die Produktion von Wissen grundsätzlich narrativ verfasst ist und zwischen Fakten und Fiktion oszilliert.
Medien bilden den zentralen Reflexionsgegenstand der Verschwörungstheorie. Diese thematisiert asymmetrische Wissensbestände unterschiedlicher Gruppen (Arkanwissen), die Zirkulation von Information und Desinformation zwischen ihnen (simulatio/dissimulatio/Spionage), Überwachung und verborgene Kontrolle. Verschwörungstheorie und Medientheorie sind sich insofern ähnlich, als sie beide Agenten der Wissensproduktion unter der Oberfläche zu lokalisieren suchen.
Die Tagung nähert sich dem spezifischen Wissen der Verschwörungstheorie aus drei Perspektiven:
I. Epistemologie der Paranoia
„Ob in der Theorie mehr Wahn enthalten ist, als ich möchte, oder in dem Wahn mehr Wahrheit, als andere heute glaublich finden“, fragte sich bereits Sigmund Freud bei der Formulierung seiner Theorie der Paranoia. Grundlegend gemeinsam ist Theorie und Paranoia der Versuch, Strukturen und Regelmäßigkeiten zu beobachten sowie Ursache-Wirkungs-Verhältnisse etablieren und Handlungen zuschreiben zu können. In der Paranoia werden zwar nicht die Phänomene selbst registriert, ihre wahnhafte Verdopplung lässt aber die Ordnung erkennbar werden, die ihren symbolischen und imaginären Verknüpfungen zugrunde liegt. Im Aufschreibesystem des Verfolgungswahns werden die medialen Formationen, die epistemischen Bedingungen und die rhetorischen Verfahren, die der Produktion von Wissen zugrunde liegen, sichtbar.
II. Poetologie des Verdachts
Der Verdacht ist die entscheidende poetologische Figur der Verschwörungstheorie. Sie erzeugt immer wieder von neuem die Vermutung, dass sich hinter der sichtbaren Oberfläche der Zeichen eine unsichtbare Zone, ein „submedialer Raum“ (Groys), befindet, in der Manipulation, Intrige und Verschwörung wirken. In den Narrativen des Verdachts geht es nicht mehr primär um die Markierung von Freund und Feind. Stattdessen beginnt in Anknüpfung an phantastische Motive sich die Grenze zwischen Subjekt- und Dingwelt aufzulösen. Die Dinge entwickeln ein Eigenleben in der unheimlichen Ikonographie einer globalen Totalität technischer Medien.
III. Verschwörungskulturen
Verschwörungstheoretische Wissensproduktion trägt zur kulturellen Differenzierung bei. Sie realisiert einen distinkten „Denkstil“, der nach Ludwik Fleck durch ein „gerichtetes Wahrnehmen“ gekennzeichnet ist. Am deutlichsten zeigt sich dies an der Ausbildung so genannter Subkulturen entlang von paranoiden Szenarien. Die Inszenierung eines übermächtigen Gegners sowie die Anstrengungen und Gefahren der verschwörungstheoretischen Recherche dem eigenen Wissen höchste Relevanz, Exklusivität und somit kulturelle Bindungskraft. Spezifische und hoch selektive Formen der Wissensgenerierung und der Mediennutzung etablieren subtile Codes von Andeutungen, von Sagbarkeiten und von plötzlichen Evidenzen. Die Verschwörungskulturen sehen sich allerdings auch der Gefahr ausgesetzt, mit dem Verdacht in alle Richtungen jede stillschweigende kulturelle Voraussetzung und Gemeinsamkeit über kurz oder lang in Frage zu stellen.
Konzeption: Sabine Hänsgen, Marcus Krause, Arno Meteling, Markus Stauff
Programm
Donnerstag, 18. Oktober 2007
10:15
Ludwig Jäger: Begrüßung
10:30
Arno Meteling: Einführung
I. Epistemologie der Paranoia
Moderation: Marcus Krause
10:45
Stephan Gregory (München/Weimar):
Das paranoische Pendel. Konjunkturen des Verschwörungsdenkens
11:45
Ralf Klausnitzer (Berlin):
Geheimer Gang menschlicher Machinationen. Beziehungssinn und Zeichenökonomie von Verschwörungstheorien im 18. Jahrhundert
12:45
Mittagspause
14:15
Anna Tuschling (Basel):
Deutungswahn und Wahnanalyse. Mediale Aprioris der Paranoia bei Freud und Lacan
15:15
Torsten Hahn (Köln):
Waste Theory. Die andere Seite der Verschwörungstheorie
16:15
Kaffeepause
II. Poetologie des Verdachts
Moderation: Sabine Hänsgen
16:45
Matthias Bickenbach (Köln):
Der Satellitenblick und die Menschheitsverschwörung. "Der Staatsfeind Nr. 1" und Jean Pauls Luftschiffer Giannozzo als Figurationen latenter Paranoia
17:45
Sulgi Lie (Berlin):
Allegorien der Totalität. Verschwörung als „Cognitive Mapping“ in Fredric Jamesons politischer Filmästhetik
Freitag, 19. Oktober 2007
9:30
Henry M. Taylor (Zürich):
"You mean if you didn't see it it's not there?" Alan J. Pakulas "The Parallax View" und ästhetische Voraussetzungen für die Konstruktion von Verschwörungstheorien
10:30
Thomas Weber (Berlin):
Die Dramaturgie des subjektiven Zweifels. Ein Inszenierungsmodell von Verschwörungstheorien im Fernsehen
11:30
Kaffeepause
III. Verschwörungskulturen
Moderation: Markus Stauff
12:00
Stefan Nellen/Robert Suter (Basel):
Unheimliche Gäste. Über Figurationen des Verdachts
13:00
Mittagspause
14:30
Antje Dallmann (Berlin):
Botschafter der Angst. Verschwörung als Trope von Maskulinität in der Krise, 1959-2004
15:30
Eva Horn (Basel):
„Danach vmtl. Geschlechtsverkehr“. Überwachungsmedien in Fritz Langs Spione und Florian Henkel von Donnersmarks "Das Leben der Anderen"
16:30
Kaffeepause
17:00
Lorenz Engell (Weimar):
„Feuer, zieh mit mir“. Die Mediologie der Verschwörung bei David Lynch
Veranstaltungstyp: Konferenzen
Zuletzt geändert am 04. Februar 2009 um 14:30 Uhr - Kontakt - Login zum Bearbeiten