Weltverkehr als Technik und als Semantik des Globalen
Niels Werber (Universität Innsbruck)
Abstract
1887 spricht Ferdinand Tönnies von der Möglichkeit, aus einer über »den ganzen Erdkreis« sich erstreckende Zirkulation der Meinungen und Gelder im Medium des »Weltverkehrs« gingen nicht nur »Weltmarkt«, »Weltindustrien«, »Weltblätter« und »Weltstädte« hervor, sondern womöglich auch ein »Weltstaat«, der »über alle Grenzen hinaus sich erstreckt«. Die technische Seite des Weltverkehrs umfaßt aus seiner Sicht all das, was die angelsächsischen Beobachter communications nennen: Eisenbahnen und Telegraphie, Schiffahrt und Massenmedien. Darüber, daß diese communications planetarische Dimension erreicht haben, herrscht Übereinstimmung. Darüber, daß aus dem Weltverkehr auch ein Weltstaat, eine Weltgesellschaft oder eine vereinte Menschheit hervorgeht, nicht. Im Gegenteil, andere zeitgenössische Beobachter können im Weltverkehr nicht viel mehr sehen als die Ausweitung der Kampfzone der Staaten und Konzerne auf den ganzen Planeten.
Interessant an diesen um 1900 vorliegenden Typen ist nicht nur das Problem, wie die erheblichen Differenzen in der Semantisierung der gleichen Techniken zu begründen sein könnten, ein Problem, das die Medien- und Technikgeschichte zu kulturwissenschaftlichen Erklärungen drängt. Und interessant ist angesichts der Poetologie dieser Semantik des Weltverkehrs die Frage, ob die gleichen Bilder und Verknüpfungsregeln womöglich noch unseren aktuellen Beschreibungen der Globalisierung zugrunde liegen. Beiden Fragen möchte ich in meinem Vortrag nachgehen.
Bio
Niels Werber ist Literatur-, Medien- und Kulturwissenschaftler mit den Spezialgebieten systemtheoretische Literaturwissenschaft und Mediengeschichte. 1992 promovierte er zum Dr. phil. mit einer Arbeit über die Ausdifferenzierung der Literatur als Funktionssystem der modernen Gesellschaft im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. 2000 folgte die Habilitation mit einer systemtheoretisch orientierten literaturhistorischen Studie über die Koevolution von modernem Roman und intimer Kommunikation. Seit 2002 absolvierte er Vertretungsprofessuren an der Ruhr-Universität Bochum, der Humboldt-Universität zu Berlin sowie der Bauhaus-Universität Weimar. Im Sommersemester 2008 vertritt er eine Professur für Intermedialität am Institut für Literaturen der Universität Innsbruck.
Ausgewählte Veröffentlichungen
Die Geopolitik der Literatur. Vermessungen einer medialen Weltraumordnung, Hanser Verlag, München 2007.
Liebe als Roman. Zur Koevolution intimer und literarischer Kommunikation, Fink Verlag, München 2003.
Literatur als System. Zur Ausdifferenzierung literarischer Kommunikation, Westdeutscher Verlag, Opladen 1992.
Info
Das Planetarische. Kultur - Technik – Medien im postglobalen Zeitalter ist eine Tagung des Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs "Medien und kulturelle Kommunikation" (SFB/FK-427), Universität zu Köln.
Ort & Datum
Köln, Mediapark
9-11. Oktober 2008
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