Welt im Plural
Le Corbusier, Buckminster Fuller und das Futurama
Gloria Meynen (eikones/Universität Basel)
Abstract
Karten zeigen die Welt im Überblick. Selten zeigen sie dabei, wie sie ist, häufiger, wie sie war, wie sie wird oder wie sie sein könnte. Die Welt sei entdeckt, schreibt der Geopolitiker Halford Mackinder 1919, es gäbe keinen weißen Flecken mehr, die Welt zeige sich zum ersten Mal als weltumspannendes System. Der Blick auf das System aber erfordere die Karte im Kopf, den kartographischen Blick, erst er kann im Meer der Ereignisse die Konturen der Weltinsel entdecken. Buckminster Fuller wählt daraufhin eine modulare Karte im Tangrammstil, um das Denken im Weltformat auf dem Fußboden zu trainieren. Ebenso Herbert George Wells, der in seinen »Floor Games« das Denken in Möglichkeiten mit Holzlatten und Laubsägearbeiten in die Erziehung seiner Söhne einbaut. Le Corbusier mobilisiert seine Architektur mit dem kartographischen Blick der Royal Air Force. Er reißt Höhen ein, um sie auf der leeren Fläche wieder neu zu errichten. Im Futurama von 1939 zeigt sich die Welt von Morgen auf einer Karte im Pavillonformat der New Yorker Weltausstellung, die man auf einer beweglichen Tribüne mit den Augen einer DC-3 überfliegen kann. Der kartographische Blick ignoriert die Nahaufnahme und das Detail. Er setzt die Welt als Ganzes, und sieht dabei mit den Augen von Außerirdischen. Wie kann man auf dem Globus global denken, Selbstreferenz durch Fremdreferenz maximieren? Wie kann man Zeit verebnen, die Zukunft vergegenwärtigen – einen Ort bereisen, der nirgendwo existiert? Wie kann man denken, was noch nie gedacht wurde? Wie kommt das Neue in die Welt? Wie lässt es sich vorhersagen, wie systematisch erforschen oder gar erzwingen? Der Beitrag stellt unterschiedliche Zukunftskonzepte vor, die alle im Schatten der Weltkriege entstehen und Karten zu einem Ort eines höchst spekulativen Wissens machen. Das zukünftige Wissen richtet sich weniger an Orten und Wegen als an Richtungen und Bewegungen aus. Am Beispiel des Fliegerblicks und des fluiden Wissens des Meeres untersucht der Beitrag, wie Karten ein Denken in Kontingenzen ermöglichen, wie sie die Welt in den Plural setzen.
Bio
Gloria Meynen studierte Neuere Deutsche Literatur, Ältere Deutsche Literatur und Sprache sowie Philosophie in Köln, Bonn, Bochum, Konstanz und Berlin. 1997-2000 war sie Mitglied des Graduiertenkollegs "Codierung von Gewalt im medialen Wandel". 2004 promovierte sie über das kulturwissenschaftliche Thema "Büro" an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 2000 bis 2006 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschergruppe Bild-Schrift-Zahl am Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der Humboldt-Universität. Seit Juni 2006 ist sie Assistentin im Modul 3 "Zeit im Bild" des NFS "Bildkritik".
Ausgewählte Veröffentlichungen
Routen und Routinen, in: Joseph Vogl/Bernhard Siegert (Hrsg.): Europa. Kultur der Sekretäre, Diaphanes, Berlin/Zürich 2003, S. 195-213.
Römer sind Barbaren. Über den Ursprung der Gedächtniskunst in der Haushaltsführung, in: Sven Spieker (Hrsg.): Bürokratische Leidenschaften. Kulturgeschichte im Archiv, Kadmos, Berlin 2004, S. 138-159.
Über die Tafel, das erste Universalmedium der Mathematik, in: Friedrich Kittler,/Ana Ofak (Hrsg.): Medien vor den Medien., Wilhelm Fink Verlag, München 2007, S. 62-88.
Info
Das Planetarische. Kultur - Technik – Medien im postglobalen Zeitalter ist eine Tagung des Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs "Medien und kulturelle Kommunikation" (SFB/FK-427), Universität zu Köln.
Ort & Datum
Köln, Mediapark
9-11. Oktober 2008
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