Angesichts des unverändert großen Interesses, mit dem die Öffentlichkeit auf den seit zwei Jahrzehnten verstärkt beachteten Wandel der Medienverhältnisse reagiert - und oft genug kulturkritisch überreagiert -, macht das Kölner Forschungskolleg die Bestimmung des Verhältnisses von Medien, Kultur und Kommunikation,1 das in vielen Debatten virulent ist, zum Einsatz eines thematisch breit gefächerten, aber theoretisch integrierten Forschungsprogramms. Allein dort, wo die geisteswissenschaftlichen Fächer ihr disziplinäres Wissen, ihre besonderen Lektüre-, historischen Beschreibungs- und Theoriekompetenzen einbringen können, besteht die Chance, an den zirkulierenden Mediendiskurs auf eine Weise anzuschließen, die seine Topoi und rhetorischen Register nicht lediglich im Gewand der wissenschaftlichen Rede verdoppelt. Erst dann können auch wissenschaftlich konditionierte medienkritische Argumente in die öffentliche Debatte eingebracht werden, die nicht zuletzt auch Funktion und Einsatzpunkte des medienkritischen Diskurstyps mitzubedenken hätten.
Statt dem Objektbereich der Literatur- und Sprachwissenschaften lediglich einen weiteren Gegenstand hinzuzufügen, geht das Forschungskolleg davon aus, dass "Medien" für die Philologien und Geisteswissenschaften nicht bloß ein Thema unter anderem sind, sondern die Gegenstände dieser Disziplinen auf bislang nicht systematisch in den Blick genommene Schichten ihrer Konstitution hin zu lesen erlauben. Um die Formierungsleistung medialer Praktiken, die vorprädikativen Bedingungen der Erzeugung und Interpretation von Sinn angemessen erforschen zu können, macht sich das Forschungskolleg einen umfassenden Medienbegriff zu eigen, der neben den aktuell im Zentrum des (öffentlichen) Interesses stehenden elektronischen Technologien der Datenspeicherung und Datenverarbeitung ganz unterschiedliche - miteinander 'koexistierende' - Techniken der Generierung, Verbreitung und 'Lesbarmachung' von Bedeutungen verknüpft.
Gegen eine Hermeneutik des jeweils aufzulesenden medialen Klartextes hält das Forschungskolleg an der Unterscheidung von Medien und Kommunikation als forschungsprogrammatische Leitdifferenz fest. Diese Unterscheidung ist eine Absage an einseitige Festlegungen, die sie entweder als Tautologie oder als prinzipielle Asymmetrie fassen. Eine ausschließliche Spezialisierung auf die 'Technik' der Medien wird daher abgelehnt - und damit die im Hintergrund fungierende Annahme, dass apparative Technikstrukturen auch alles weitere bestimmen und insbesondere auch über die kulturelle Implementierung der Medien verfügen. Andererseits ist auch nicht einzusehen, warum die geisteswissenschaftlichen Fächer sich allein einer sogenannten "gepflegten Semantik" (Niklas Luhmann) annehmen sollten, um sie bestenfalls auf ihren wissenssoziologischen Aussagewert hin zu überprüfen, und im übrigen auf den medientechnischen Wandel und den durch ihn bewirkten kulturellen Umbruch allein mit Prinzipienerklärungen reagieren dürfen. Das Forschungskolleg fragt vielmehr nach dem gemeinsamen Terrain, auf dem beide Seiten aufeinandertreffen, wo 'Diskurse' und 'Dinge', technische Apparate und soziale Sinn-Kommunikationen aufeinandertreffen. Statt Kulturen zu bloßen Sekundärphänomenen bestimmter Medientechniken zu degradieren oder sie in einen substanziellen Gegensatz zu 'den Medien' zu manövrieren, setzt das Kolleg auf die Klärung der kommunikationsformierenden Rolle von Medien, die damit als Kulturen der Kommunikatikon in den Blick geraten.
Die Teilprojekte des Forschungskollegs verfolgen damit eine medienkomparative (statt: eine medienontologische) und eine medienhistorische (statt: eine medienteleologische) Fragestellung. Denn alles, "was sich über ein Medium sagen lässt, ergibt sich erst aus einem Medienvergleich"2 und nicht aus abstrakten Vermögensanalysen von Einzelmedien. Und kein Medium, auch wenn es sich wie der Computer als unüberbietbarer Horizont der Medienentwicklung und in diesem Sinne als "Hypermedium" ausgibt oder als solches kulturell adressiert wird, kann über die Gesamtheit der Beziehungen, in die es verwickelt ist, souverän verfügen. Diese medienkomparative und medienhistorische Fragestellung kommt in drei Problemfeldern bzw. Problematisierungsweisen zum Tragen:
- Mediale Differenzen und ihre transkriptive Prozessierung3
- Die Adressierungsleistung4 von Kommunikationskulturen im Hinblick auf ihre mediale Infrastruktur
- Mediale Transformationsprozesse und ihre diskursive Artikulation im Spannungsfeld von Globalisierungs- und Lokalisierungsbewegungen5
Mit seinen Grundbegriffen "Transkriptionen", "Adressierungen", "Strategien der Globalisierung und Lokalisierung" setzt das Forschungskolleg einen bewusst gewählten verfahrenstechnischen bzw. operativen Akzent. Auf das Problem der medialen Differenz reagieren Verfahren der Transkription - wobei diese Verfahren Differenzen sowohl überbrücken, indem sie Lesbarkeit ermöglichen, als auch neue Differenzen erzeugen, insofern sie ihre eigene Medialität (die Medialität der Lektüreverfahren) - und damit deren kulturelle Konstruiertheit - zu erkennen geben; Kommunikationskulturen erbringen spezifische Adressierungsleistungen und werden zugleich herausgefordert durch eine immer unübersichtlichere Adressenordnung, die kommunikativen Erfolg außerhalb ausdifferenzierter organisatorischer Kontexte zusehends 'unwahrscheinlicher' werden lässt: das Problem der 'Massenkommunikation' und ihrer kulturellen Formate. Schließlich reagieren Mediendiskurse auf das Problem der medialen 'Zweckoffenheit', wie sie besonders für die Universalmaschine Computer beschrieben wird. Mediendiskurse sind nicht einfach praktisch folgenlose Reden über Medien, sie sind vielmehr ganz entscheidend an der Konstruktion und Implementierung von Nutzungsordnungen bzw. 'Dispositiven' beteiligt, die die von global operierenden bzw. global zur Verfügung stehenden Medienapparaten bereitgestellten kommunikativen Möglichkeiten kulturell respezifizieren bzw. 'lokalisieren'.
Medien - ein "unterschwelliges Gebiet"
Die systematische Beschäftigung mit Medien kann weder von einer gesicherten Definition ihres Gegenstandes ausgehen noch scheint es überhaupt geboten, die theoretische Arbeit am Medienbegriff durch definitorische Entscheidungen vorschnell abzubrechen. Die Frage Was ist ein Medium? oder Was ist Medialität? wird daher besser umformuliert in: Wie funktioniert Medialität? Das Forschungskolleg nimmt seinen konzeptuellen Auftrag ernst, ohne sich von ihm blockieren zu lassen. Man muss sich darüber klar sein, welche Vielfalt von Sachverhalten und Hinsichten unter dem Medienbegriff verhandelt wird: Kommunikationsmedien, Wahrnehmungsmedien, technische Medien, Speichermedien, Analog- und Digitalmedien, Verbreitungsmedien, Massenmedien, Medien der Überlieferung etc. Um einen Satz Wittgensteins zu variieren: "Man kann sagen, der Begriff 'Medium' ist ein Begriff mit verschwommenen Rändern."6 Statt sich in definitorischen Exerzitien zu ergehen, ist es erfolgversprechender, Fragen aufzuwerfen und Problemfelder zu markieren, die der Vielfalt und Konkretion pointierbarer medialer Befunde den Vorzug vor theoretischen Allgemeinheiten geben, die nicht an bestimmte konkrete, historisch und kulturell spezifizierbare Problemlagen rückgebunden sind.
Wenn Medien den Zugang zu Objekten welcher Art auch immer allererst eröffnen, spricht einiges dafür, dass von ihnen nicht in der gleichen zugriffssicheren Art als Objekte zu handeln ist. Mediendefinitionen - und es gibt ihrer natürlich zuhauf - liefen dann Gefahr, an der Funktion ihres Gegenstandes vorbeizuzielen, der - Erscheinungsbedingung aller Gegenstände - seinerseits niemals zur vollen Präsenz gelangen kann. Die Thematisierung von Medien und Medialität ist um einen weitgehend ungeklärten Begriff zentriert. Versuche zu seiner Klärung können bei dem ansetzen, was man eine (dichte) Beschreibung medialen Fungierens unter bestimmten historischen und kulturellen Rahmenbedingungen nennen könnte. Die Situation kompliziert sich dadurch, dass Medialität ihrerseits als eine entscheidende Variable in die Bestimmung dieser Rahmenbedingungen eingeht. Medien werden erfahrbar im Modus der Aufdringlichkeit - sie adressieren ihre Benutzer, noch bevor sie kognitiv auf Distanz gebracht, also 'verstanden' werden können. Darin bringt sich die Insistenz des "Nicht-Hermeneutischen" zur Geltung.7
Medien als Formationssysteme
Wissenschaftlich uninteressant wäre der Medienbegriff gleichfalls, wenn er sich nur auf die - im populär-publizistischen Sprachgebrauch - so genannten 'Medien' - also die modernen audiovisuellen Massenmedien und ihre mittlerweile digitalisierte Infrastruktur - bezöge. Wären Medien nur 'die Medien', erschöpften sie sich also in der Rolle des Stichwortgebers für die öffentliche Debatte über sie, fielen sie noch am ehesten in die Zuständigkeit von (Kultur-)Soziologen. Wenn der Medienbegriff weder in seiner technischen noch in seiner ästhetischen oder gar öffentlichkeitswirksamen, 'semantischen' Ausprägung aufgeht, dann deshalb, weil er die heterogene Faktur als die Bedingung der Möglichkeit jener Einheiten offen legt, die uns zunächst von ihrer Formseite her 'gegeben' sind. Medien und Medienverbünde fungieren aus dieser Perspektive als die infrastrukturellen Formationssysteme einer Kultur, ihrer Wahrnehmungs-, Wissens- und Kommunikationsordnungen.
Worüber eine Kultur zu kommunizieren erlaubt, wem sie das Recht zugesteht, die Rede zu ergreifen und 'autoritativ' zu sprechen, auf welche Begriffe und Perspektiven sie die Sprecher verweist, an welche Anschauungsformen, Szenarien und Diagramme, mit anderen Worten: an welche Bildlichkeit diese Begriffe gebunden werden müssen, um ihnen die zureichende Evidenz zu verschaffen, und mit welchen strategischen Chancen bzw. Handlungsoptionen eine solche Kommunikation ausgerüstet ist: darüber entscheidet die mediale Infrastruktur einer Kultur. Das tut sie, indem sie Gegenstände, Begriffe und Anschauungsformen, Sprecher- und Blickpositionen, kurzum: Sagbarkeiten und Sichtbarkeiten sowie 'Politiken' auf eine ebenso unwahrscheinliche wie effektive Weise miteinander in Beziehung setzt. Medien verteilen und kombinieren, was seiner Herkunft nach zunächst einmal nicht aufeinander angewiesen und auch nicht füreinander bestimmt ist. Medien markieren dasjenige an jeweils zirkulierendem Sinn, was seine Genese und Übertragung ermöglicht, denn nicht alles, was zu einem historischen Moment zu sagen und zu sehen möglich wäre, wird gesagt und gesehen - zumindest nicht auf eine Weise, die sozial bzw. kommunikativ folgenreich ist. Formen, so lässt sich im Anschluss an eine entsprechende Unterscheidung Niklas Luhmanns formulieren,8 sind kontingente Selektionen aus einem Möglichkeitsraum, der nur im Ausgang dieser Formen überhaupt rekonstruierbar ist. Medien sind als Selektoren zwischen eine Vielzahl von Möglichkeiten und bestimmten realisierten Strukturmustern geschaltet. Medien werden aus Formen erschlossen, nicht umgekehrt. Allerdings wäre eine Medienanalyse buchstäblich gegenstandslos, wenn die Formen nicht Spuren des Mediums aufbewahrten und damit ihre eigene Konstitution am konstituierten Sinn zu erkennen gäben.
Insofern Medien zunächst im vorprädikativen Erfahrungsfeld begegnen, insofern man also zunächst mit ihnen Erfahrungen macht, ohne zu wissen, in welcher Weise sie an dieser Erfahrung beteiligt gewesen sind, verstellt ihre vorschnelle Identifizierung mit konkreten Mediendingen die mediale Spezifik. Man kann daher in der Tat sagen, "daß es keine Medien gibt, keine Medien jedenfalls in einem substanziellen und historisch stabilen Sinne."9 Denn Medien können weder auf Repräsentationsformen (etwa Theater, Linearperspektive oder Film) noch auf Techniken wie Alphabet, Buchdruck oder Fernmeldewesen noch auch auf Symboliken wie Schrift, Bild oder Zahl reduziert werden. Die häufig anzutreffende Definition der Medien als Verfahren der Speicherung, Verarbeitung und Übertragung von Daten verdankt ihre Plausibilität einem undurchdachten Begriff des 'Gegebenen' ('Datum'), dessen technische Erzeugungsregeln so vorgestellt werden, als würden sie mit den Formationsregeln des 'verdateten' Wissens schlicht zusammenfallen.
Medien formieren einen Raum, auf dem 'etwas' zur Erscheinung kommen kann - gemeinsam mit den Beobachtungs- und Zugriffsmöglichkeiten, denen es sich anbietet. Medien lassen sich also insofern als Kulturen der Kommunikation verstehen. Von Kulturen der Kommunikation unter Abzug des Medienbegriffs zu sprechen, hieße, einem Verständnis des Kulturbegriffs Vorschub zu leisten, der Kultur als einen bloßen Themen- und Wertevorrat für die (letztlich am Konversationsmodell orientierte) Kommunikation verstünde. Kulturen, wenn sie als Medienkulturen verstanden werden, disponieren aber nicht nur über die referentielle bzw. kognitive und normative Dimension einer jeden Kommunikation. Sie etablieren ineins damit auch kommunikativ und sozial folgenreiche Beobachterpositionen, begriffliche ebenso wie 'figurativ' angereicherte und instrumentell vermittelte Perspektivierungen bzw. 'Zurichtungen' (Nietzsche) der Gegenstände und nicht zuletzt sozial mehr oder weniger chancenreiche Strategien und Taktiken der Gegenstandsmanipulation. Eine medienanalytische Perspektive beobachtet am Kulturbegriff gerade solche kommunikativen Formierungen und Codierungen, die gewissermaßen unterhalb der Bereitstellung von argumentativ ausgebauten Deutungsmustern und explizit normativen Handlungsregeln wirksam werden, so dass die rhetorisch eingeübte, euphorisch oder dysphorisch akzentuierte Gegenstellung von Medien und Kultur jeden (wissenschaftlichen) Sinn verliert.
(1) Zu den Implikationen dieser Trias mit Blick auf Bild/Text-Verhältnisse vgl. Wilhelm Voßkamp: Medien - Kultur - Kommunikation. Zur Geschichte emblematischer Verhältnisse, in: Martin Huber/Gerhard Lauer (Hg.): Nach der Sozialgeschichte. Konzepte für eine Literaturwissenschaft zwischen Historischer Anthropologie. Kunstgeschichte und Medientheorie, Tübingen 2000, S. 317-334.
(2) Jürgen Fohrmann: Der Unterschied der Medien, in: Transkriptionen 1 (2003), S. 2-7.
(3) Zum Konzept der Transkription sowie zu seinem grundlagentheoretischen Status für die Forschungsarbeit des Kollegs vgl. Ludwig Jäger/Georg Stanitzek (Hg.): Transkribieren (Medien/Lektüre), München 2002 sowie Ludwig Jäger: Transkriptivität. Zur medialen Logik der kulturellen Semantik, in: Ebd., S. 19-41.
(4) Zum Konzept der Adresse als medialem Bezugsproblem vgl. die Forschungsergebnisse des Kollegs, die der von Stefan Andriopoulos, Gabriele Schabacher und Eckhard Schumacher herausgegebene Band Die Adresse des Mediums, Köln 2001 versammelt.
(5) Zum Konzept von Globalisierung und Lokalisierung vgl. die Forschungsergebnisse in Irmela Schneider/Torsten Hahn/Christina Bartz (Hg.): Medienkultur der 60er Jahre: global/lokal. Diskursgeschichte der Medien nach 1945, Bd. 2, Opladen 2003.
(6) So Wittgenstein im Kontext seiner Erläuterung des Sprachspielbegriffs. Daß sich 'Verschwommenheit' und begriffliche Arbeit ausschließen, gehört zum Mythos eines unreflektierten Präzisionsbegriffs, wie Wittgenstein - interessanterweise am Beispiel eines Mediums, nämlich der Photographie erläutert: "Ist eine unscharfe Photographie überhaupt ein Bild eines Menschen? Ja, kann man ein unscharfes Bild immer mit Vorteil durch ein scharfes ersetzen? Ist das unscharfe nicht oft gerade das, was wir brauchen?" Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt/M. 1980, S. 60.
(7) Hans Ulrich Gumbrecht, "Das Nicht-Hermeneutische: Skizze einer Genealogie", in: Huber, Jörg/Alois Müller (Hg:): Die Wiederkehr des Anderen, Basel, Frankfurt/M. 1996, S. 17-36.
(8) Vgl. u.a. Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1995, S. 165-214.
(9) Lorenz Engell/Joseph Vogl: "Vorwort" zum Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard, Stuttgart 1999, S. 10.